Nimm dir alle Zeit der Welt
Jeder von uns wünscht sich mehr Zeit. Da sind die vielen unerledigten Aufgaben, die wir vor uns her geschoben haben. Seufzend bitten wir um einen 48-Stunden-Tag. Aber der Tag bleibt nach wie vor bei 24 Stunden. Da sind die Kinder, der Haushalt, der Job. Nirgends langen die Stunden. Etwas bleibt auf der Strecke.
Richtig schwierig ist es aber, wenn wir Vergangenes bewältigen müssen. Wir brauchen Zeit. In der Partnerschaft bitten wir darum: „Bitte, lass‘ mir noch etwas Zeit.“ Zum Beispiel beim „ersten Mal“. Oder wenn man sich vorübergehend trennt. Dann ist Zeit besonders wichtig.
„Zeit heilt alle Wunden“, so sagt man. Doch wieviel Zeit muss vergehen, bevor Schmerzen nur noch Narben sind? Kann Zeit wirklich alle Wunden heilen? Brechen sie doch irgendwann wieder auf?
Ich kenne Menschen, die haben unheimlich viel durchgemacht. Sie haben zum Beispiel in ihren Beziehungen unendlich viel Leid erfahren. Frauen wurden geschlagen, Männer verbal fertig gemacht. Besonders schlimm finde ich das, wenn man davon ausgeht, dass die Personen, die sie zuletzt quälten, sie einmal geliebt haben.
Dann braucht es Zeit. Viel Zeit, um alles zu verarbeiten. Vergessen geht nicht. Die Narben bleiben. Vor allem die Narben auf der Seele. Es ist so schade, wenn wir diesen Menschen nicht helfen können. Aber sie müssen diese Zeit für sich haben. So schwer es den Außenstehenden auch fällt, aber hier ist Zurückhaltung angesagt. Kein Mensch steckt gravierende Dinge, wie Schmerzen an Körper und Seele so einfach weg. Erwachsene nicht, Kinder schon gar nicht.
Unsere Kinder können wir schützen vor seelischer und körperlicher Grausamkeit und Gewalt. Doch wie schützen wir die Erwachsenen, die wir lieben? Oft stehen wir machtlos daneben, unfähig, ein Wort zu sagen. Oft verschlägt es uns auch die Sprache. Wir bekommen mit, dass eine Bekannte ein blaues Auge hat oder eine Frau sich über ihren Ex-Partner äußert. Wir sind dann oft sprachlos. So viel Herzlosigkeit hat man dem/der Anderen gar nicht zugetraut. Wie können Menschen nur so gemein sein?
Kinder, die ihre Eltern schlagen, sind auch so ein Phänomen, wo ich sprachlos bin und mich machtlos fühle. Ich kenne das aus der ehemaligen Nachbarschaft. Die Frau ist längst nicht mehr am Leben, ihr Sohn war Mitte 40, lebte bei ihr und trank. Eltern und Kinder haben normalerweise eine besondere, innige Beziehung. Hier war ich – im Alter von vielleicht 17, 18 Jahren, einfach nur entsetzt. Wie kann ein Sohn seine Mutter schlagen?
Ich habe schon Frauen oder Männer sich über ihre Ex-Partner und Ex-Frauen äußern hören, da blieb mir echt die Sprache weg. Und ich bin weiß Gott selten sprachlos. Plötzlich versteht man den/die Ex. Zum Beispiel, warum der-/diejenige ausgerastet ist oder weggelaufen. So wie bei einer Freundin von mir, die nach Italien gezogen ist.
Sie hat Zeit gebraucht. Zeit, die Wunden heilt. Wunden, die ihr ihr Ex zugefügt hatte. Nicht körperlich, sondern seelisch. Er hat sie nach Strich und Faden fertig gemacht. Sie braucht jetzt die Zeit, um das Geschehen zu verarbeiten. Immer noch, nach Monaten, ist sie völlig fertig. Unfähig, klar zu denken, geschweige denn zu lieben, eine neue Beziehung einzugehen. Obwohl ihr das sicher gut tun würde. Doch sie braucht dafür noch ganz viel Zeit.
Wir haben alle Zeit der Welt! Auch wenn es in dieser Hektik oft nicht so aussieht, auch wenn wir ungeduldig sind. Menschen brauchen Zeit, besonders zum Verarbeiten von dramatischen Situationen. Das sollten wir nie vergessen und unseren Mitmenschen diese Zeit auch vorbehaltlos lassen. Das ist ganz, ganz wichtig, damit diese Menschen irgendwann in der Lage sind, ein normales Leben zu führen.
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